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PVS Einblick

16 weiter, und es vergehen mitunter Mo- nate bis zur abschließenden Bewilli- gung oder Ablehnung der Behandlung. Die volle medizinische Ver- sorgung, wie sie gesetzlich und privat versicherten Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zusteht, be- kommen die Flüchtlinge erst, wenn sie einen regulären Aufenthaltstitel erhalten haben oder sich mindestens 15 Monate in Deutschland aufhalten. Bis dahin, also während des Asylverfahrens, erhalten sie nur die medizi- nische Minimalversorgung. Die Kosten für die Gesundheitsver- sorgung der Flüchtlinge tragen die Länder und Kommunen. Es kommt daher nicht unerwartet, dass sie eine höhere Beteiligung des Bundes an der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge fordern. Insgesamt geht es um Zuweisungen von über 5,6 Milliarden Euro, und der Bund hat Hilfen bereits zugesagt. Was das in der Praxis heißen wird, muss sich allerdings noch herausstel- len. Die Bundesregierung verweist vor allem auf ihr „Gesetz zur Ver- besserung der Rechtsstellung von Asyl suchenden und geduldeten Ausländern“ von Anfang 2015 und auf eine ähnliche Handhabung der medizinischen Flüchtlingsversor- gung in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich. Neu ist die Einführung der elekt- ronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die den sogenannten Behandlungsschein ablöst. Das Leistungsspektrum erhöht sich für die Flüchtlinge dadurch zwar nicht; sie werden ja erst nach Abschluss ihres Asylverfahrens zu einem voll leistungsberechtigten Krankenkas- senmitglied. Aber die Gesundheits- karte für Flüchtlinge verspricht, das Maß an Bürokratie zu reduzieren und die Abrechnungswege für Ärzte und Sozialämter zu vereinfachen. Bremen kann dadurch etwa 1,6 Mil- lionen Euro pro Jahr einsparen. Für die Leistungen, die der Asylbewer- ber erhält, kommen finanziell auch weiterhin die Kommunen auf. Die Krankenkassen übernehmen ledig- lich die Organisationsaufgaben. In Nordrhein-Westfalen ist die Ein- führung der „NRW-Gesundheitskarte für Asylbewerber in den Kommunen“ eine Vereinbarung zwischen dem Land NRW und den acht großen Krankenkassen. Sie stellt zwar auch hier die Chance dar, die überlasteten Verwaltungsabläufe zu reduzieren, geht aber mit nicht kalkulierbaren Haushaltsrisiken für die Kommunen einher, da die Leistungen der Ge- sundheitsversorgung kaum vorher- zusagen sind. Entsprechend gering ist deshalb die Bereitschaft der Kommunen in NRW, ihr System auf die Gesundheitskarte umzustellen. Leider fehlt es in Deutschland an einem transparenten und einheitli- chen Gesundheitssystem für Flücht- linge. Jedes Bundesland regelt seine Verfahren selbst und teilweise sehr unterschiedlich. Auch wäre es nicht unwichtig, die Gleichstellung der Flüchtlinge mit den regulär Versi- cherten maßvoll voranzutreiben, um einen diskriminierungsfreien Zugang zur gesundheitlichen Versorgung sicherstellen zu können. Kritiker dieser Gleichstellung warnen jedoch vor der Gefahr des sogenannten Pull-Effektes: Sie befürchten, dass noch mehr Flüchtlinge nach Deutsch- land kommen wollten, wenn sie hier von Anfang an eine vollumfängliche Gesundheitsversorgung erhielten. Unbestritten erscheint dagegen die Notwendigkeit einer Lösung des Man- gels an Dolmetschern und Psycho- therapeuten: In der Gesundheitsver- sorgung der Asylbewerber mangelt es nicht nur an Ärzten und Pflegeper- sonal; ohne das große ehrenamtliche Engagement der Bevölkerung wäre es auch längst zusammengebrochen. Es fehlt in besonderer Weise an Über- setzern, denn in vielen Fällen verfü- gen weder das medizinische Personal noch die Flüchtlinge über die entspre- chenden Fremdsprachenkenntnisse, um über ihre Beschwerden umfassend und verlässlich Auskunft geben zu können. Nach konservativen Schät- zungen leidet mindestens die Hälfte aller nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge unter traumatischen Erlebnissen. Sie brauchen psycho- logische Unterstützung, die es zurzeit schlichtweg nicht gibt. Die struktu- rellen Defizite müssen deshalb zügig eingedämmt werden, damit die me- dizinische Versorgung eines Flücht- lings nicht zur Glücksache wird. ∑ Serap Güler ist seit Mai 2012 Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Zuvor hat sie erst als Referentin im Ministerbüro für das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW und danach als Pressereferentin im Ministerium für Gesund- heit, Emanzipation, Pflege und Alter als Regierungsrätin gearbeitet. Autorin Foto: © Laurence Chaperon

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