Eine Mischung aus Taktik und Vollkontakt: Beim Roller Derby geht es ordentlich zur Sache. Derby-Events – Sportpromoter Leo A. Setzer – überarbeitete das Konzept und rückte in den 1940er-Jahren den Showcharakter in den Fokus. Fortan entwickelte sich der Sport dank Rempeleien und Schubsereien zum publikumswirksamen Spektakel. Erst rund um die Jahrtausendwende besann man sich in Roller Derby-Kreisen wieder mehr aufs Sportliche – heute steht vor allem der Wett- kampfaspekt im Mittelpunkt. h c i r s a L n e t s r o h T © : o t o F Mitbestimmung und Gemeinschaftsgefühl Stefanie Knippertz (37) hat vor über zehn Jahren mit anderen Interessierten das in Essen angesiedelte Team der RuhrPott Rol- ler Girls ins Leben gerufen. Sie zeichnet die Entwicklung nach: „Der Sport ist defi nitiv – im Gegensatz zur Form wie er 2006 nach Deutschland und Europa kam – ernsthaft er geworden. Ernsthaft er in dem Sinne, dass er wie eigentlich jede andere Sportart von einem Verband organisiert wird und es einen regel- mäßigen Spielbetrieb sowie Anforderungen an die Vereine gibt. Einer der wichtigsten und besonderen Werte des Roller Derby ist aber nach wie vor die Mitbestimmung und Gestaltung des Sports durch die Aktiven auf allen Ebenen. Das Gemeinschaft sgefühl eben.“ Und dieses äußert sich vor allem in der Do-it-yourself-Mentalität der Sportle- rinnen: „by the skaters, for the skaters“, lau- tet die Devise. So tragen die Mitglieder vieler Teams vor den Rennen Gesichtsbemalungen auf; auch besitzen die Spielerinnen allesamt Kampfnamen. Bei den RuhrPott Roller Girls schnallen sich etwa Bella Knockarella, Hulkie Frankenstein und Kamikaze Queen die Roll- schuhe an. Stefanie Knippertz (Kampfname: D.I. Die) erinnert sich an die ersten Berüh- rungspunkte mit ihrer Leidenschaft : „Ich fand Rollschuhlaufen schon immer toll, be- saß auch Rollschuhe vom Flohmarkt, wusste aber nie so richtig, was ich damit anfangen soll. In einer amerikanischen Zeitschrift ha- be ich dann zum ersten Mal etwas über diese verrückte Sportart, bei der starke Frauen sich auf Rollschuhen bekämpfen, gelesen.“ Heu- te schätzt Knippertz besonders die Kombi- nation aus Vollkontakt und anspruchsvoller Taktik, geht es doch darum, mit vollem Kör- pereinsatz Gegnerin um Gegnerin zu über- holen. „Blaue Flecken haben wir alle, immer“ Die Professionalisierung von Roller Derby hat dafür gesorgt, dass mittlerweile Welt- meisterschaft en und mehrere größere euro- Eine ovale, fl ache Bahn („Track“), auf der zwei Teams mit je vier „Blockerinnen“ und einer „Jam- merin“ gegeneinander antreten. Dies tun sie in mehreren Runden („Jams“), die jeweils maximal zwei Minuten dau- ern – auf Rollschuhen geht es gegen den Uhrzeigersinn um Punkte. Rol- ler Derby lebt neben seiner Schnellig- keit und der benötigten Agilität vor al- lem vom Zusammenhalt innerhalb der Teams, schließlich ist es nur mit einer gemeinschaft lichen Taktik möglich, als off ensive „Jammerin“ die defensiven „Blockerinnen“ zu überholen und so- mit Zählbares einzufahren. Eine Begeg- nung („Bout“) wird in zwei Hälfen à 30 Minuten ausgetragen; zur Ausstattung der Spielerinnen gehören Knie-, Ellbo- gen- und Handschützer sowie Helm und Mundschutz. Als der Sport noch in sei- nen Kinder(roll)schuhen steckte, gaben viele Spielerinnen und Spieler schnell auf, da häufi ge Verletzungen und tota- le Erschöpfung an der Tagesordnung waren. Der geistige Vater der Roller päische Turniere ausgetragen werden. In Deutschland spielen jeweils bis zu sieben Teams in der ersten, zweiten und dritten Bun- desliga; die offi ziellen Regeln gibt der Welt- verband „Woman's Flat Track Derby Associa- tion“ heraus. Zum Spielbetrieb gehören auch zahlreiche Offi zielle, die etwa Punkte zäh- len oder Strafzeiten („Penalties“) vergeben. Letztere werden notwendig, wenn die Defi - nition von „Vollkontakt“ etwas zu weit aus- gelegt wird. Soll heißen: Erlaubt ist das aktive Blocken mit Schultern, Hüft en, Rücken, Ge- säß oder der Vorderseite. Untersagt sind hin- gegen Festhalten, Schubsen, gezieltes Weg- schieben sowie das Blocken in den Rücken oder im Kopf- und Halsbereich. Die Unter- arme ab der Ellbogen dürfen ebenfalls nicht zum Einsatz kommen. Neben den erwähn- ten Strafzeiten drohen auch sofortige Aus- schlüsse vom Spiel. Da drängt sich die Fra- ge nach größeren Verletzungen auf: „Typisch sind natürlich Prellungen, die alltäglich, aber harmlos sind“, so Stefanie Knippertz. „Blaue Flecken haben wir alle, immer. Auch kommt es oft zu Verletzungen von Sehnen, Bändern und Muskeln. Die Häufi gkeit lässt sich aber durch konsequentes, zusätzliches Kraft - und Mobilitätstraining, das wir auch anbieten, etwas einschränken.“ Und Knochenbrüche? „Die kommen natürlich vor, aber auch nicht öft er als in anderen Sportarten“, macht D. I. Die ihrem martialischen Namen gelassen alle Ehre. Wer sich von dieser charmanten Ruppigkeit nicht abschrecken lässt, ist in der Szene herz- lich willkommen: Denn trotz der stetigen Weiterentwicklung ist Roller Derby längst kein Sport der Massen. Nachwuchs ist daher gerngesehen. Stefanie Knippertz weiß zudem um die ein oder andere Hürde: „Man benö- tigt nun mal Rollschuhe, Schoner und einen Helm. Auch eignen sich nicht alle Sportstät- ten beziehungsweise sind manche nicht für Rollsport freigegeben. Als Verein bauen wir aber Barrieren ab, indem wir beispielswei- se Rollschuhe zur Probe verleihen oder die Kosten für Auswärtsfahrten übernehmen. Zweimal im Jahr veranstalten wir außerdem Kennlerntage, zu denen alle Interessierten eingeladen sind.“ Bella Knockarella, Hulkie Frankenstein und Kamikaze Queen freuen sich jederzeit über neue Mitstreiterinnen. • ruhrpottrollerderby.de ROBERT TARGAN Freier Texter, Autor & Redakteur roberttargan.de PVS einblick 35