Der Schlüsselsatz fällt ganz am Ende der rund 75 Minuten von „Mini- malism: A Documentary About the Important Th ings“: „Liebt Menschen und benutzt Dinge, weil das Gegenteil niemals funktioniert.“ Urheber dieser Aussage ist Ryan Nicodemus, einer der beiden Haupt- protagonisten einer Produktion, die unter anderem beim Streaming-Dienst Net- fl ix abrufb ar ist. Es fallen unzählige wei- tere Denkanstöße, an denen man als Zu- schauer respektive Konsument zu kauen hat. Wieso etwa füllen so viele Menschen, die eine Leere im Leben verspüren, diese mit Käufen? Wie kann es sein, dass Geld schneller ausgegeben als verdient wird? Und was ist das überhaupt für eine „Über- lebensstrategie“, die Sucht nach immer mehr aufrecht zu erhalten? Der Regisseur Matt D'Avella begleitet in seiner Dokumentation die beiden „Mi- nimalists“ Ryan Nicodemus und Jos- hua Fields Milburn auf einer Reise quer durch die USA, in deren Zuge die beiden ihr Buch „Everything that remains“ („Al- les was bleibt“) vorstellen. Das tun sie an- fangs nur vor einer Handvoll Menschen, im Laufe der Tour vor einem stetig wach- senden Publikum und schließlich berich- ten sie in den großen US-amerikanischen TV-Stationen von ihrer genügsamen Le- bensphilosophie. Denn diese scheint den Geist der Zeit zu treff en: Auf der ständigen Suche nach Zufriedenheit und Glück häu- fen die Menschen immer mehr Kram an und horten daheim Bücher, DVDs, Schu- he und Klamotten. Mehr Optionen bedeu- ten aber auch oft mals mehr (Kauf-)Druck. Im Rahmen einer minimalistischen Le- bensweise aber gilt es, den Zweck eines jeden Besitzes zu überprüfen und sich zu fragen, inwiefern ein bestimmtes Produkt das eigene Leben bereichert. Mehr Energie und Ressourcen Der heute überzeugte Minimalist Ryan Nicodemus kann sich noch gut an den Punkt erinnern, an dem er in seinem einstigen Job für einen Konzern merkte, dass in seinem Leben etwas falsch lief: „Ich denke, mir ging ein Licht auf, als ich meinen Leuten zeigte, wie man Han- dys an Fünfj ährige verkauft . Ich dachte, was mache ich hier?“ Immer wieder prä- sentiert die Dokumentation Bilder aus Shopping Malls, in denen unzählige Kun- den Geschäft e stürmen, nach vermeint- lichen Sonderangeboten jagen und sich gegenseitig Kartons aus den Händen rei- ßen. Eine US-amerikanische Realität, die längst in Form von „Black Friday“, „Cy- ber Monday“ & Co. zu uns herüberge- schwappt ist und folgenden Denkfehler begünstigt: „Ich habe so viele Sachen – nun sollte ich doch glücklich sein.“ Mi- nimalismus steht allerdings nicht einfach nur für weniger Besitz. Vielmehr bedeu- tet diese Lebensweise, sich bewusst für die Dinge zu entscheiden, die einem wich- tig sind. Denn wer sich aufs Wesentliche konzentriert, verfügt automatisch über mehr Energie und Ressourcen im Leben. So kommen in „Minimalism: A Docu- mentary About the Important Th ings“ neben Nicodemus und Fields Milburn noch viele weitere Personen zu Wort, die von ihrem minimalistischen Lebensweg berichten. Sie leben in so genannten „Tiny Houses“ auf 15 bis 45 m², reparieren de- fekte Gegenstände anstatt sie zu entsorgen und reduzieren radikal die Anzahl ihrer Klamotten im Schrank. Überhaupt: Klei- dung. „Die Ära der schnelllebigen Mode, in der wir Kleidung in Ausbeutungsbetrie- ben herstellen um die wahren Arbeitskos- ten zu vermeiden, hat deren Preis so weit gedrückt, dass gebrauchte Kleidung wert- los geworden ist“, so die Ökonomin und Soziologin Juliet Schor in der Dokumen- tation. Eine Wirtschaft also, die eine ex- treme und tiefgehende Unnachhaltigkeit widerspiegelt. Erschien früher maximal zu jeder Jahreszeit eine neue Modekollek- tion, kann man sich heute im Verlauf von 52 Saisons pro Jahr neu einkleiden. Über- spitzt gesagt: Die Modeunternehmen for- cieren, dass ihre Käufer sich nach einer Woche „aus der Mode fühlen“, damit sie in der kommenden einen Grund haben, etwas Neues kaufen. Nicht über den eigenen Verhältnissen leben Wer sich mit den Th emen „Minimalis- mus“ und „Weniger ist mehr“ befassen möchte, fi ndet in „Minimalism: A Do- cumentary About the Important Th ings“ einen idealen Einstieg. Dass der Film nicht gänzlich ohne eine amerikanische Färbung auskommt, soll dabei nicht unter den Tisch fallen. Wenn etwa der berühmte Hollywoodstar Jim Carrey mit „Ich wünschte, jeder könnte reich und berühmt werden, damit sie sehen, dass es nicht die Antwort ist“ zitiert wird, mag das im ers- ten Moment ironisch klingen – leicht ge- sagt, wenn man doch eben reich und berühmt ist. Andererseits: Wer könnte die Unbedeutsamkeit dieser zweifelhaft en Werte besser beurteilen? Auch suggerie- ren Ryan Nicodemus und Joshua Fields Milburn nicht, dass wir fortan ausschließ- lich in winzigen Häuschen mit wenig Be- sitztümern leben sollen. Vielmehr reicht es, nicht über den eigenen Verhältnissen zu leben und darauf zu verzichten, zweck- lose Dinge anzuschaff en. Fields Milburn bringt es auf den Punkt: „Wir versuchen, den Leuten zu zeigen, dass es für uns eine andere Art zu leben gibt. Der Grund, wa- rum wir diese Geschichte mitteilen, ist es, Menschen zu helfen, diesen Appetit nach mehr Dingen zu zügeln. Weil es so ein zerstörerischer Weg ist.“ Glück und Zu- friedenheit warten eher in der entgegen- gesetzten Richtung, möchte man bei die- • sem passenden Bild bleiben. ROBERT TARGAN Freier Texter, Autor & Redakteur roberttargan.de PVS einblick 7 m o c . e b o d a . k c o t s - o d a t e l a t a n © : n o i t a r t s u l l I